Schrottautos rosten auf dem Parkplatz, Vandalismus frisst sich durch die Wände – jetzt kommt Bewegung ins „Rote Hochhaus“ im Schelmengraben.
Das Rote Hochhaus im Wiesbadener Stadtteil Schelmengraben hat viele Jahre geschwiegen. Jahrzehntelang stand es im Stadtteil Schelmengraben für das Gegenteil von Stadtentwicklung: bauliche Vernachlässigung, Leerstand, gescheiterte Investoren, gesperrte Zugänge, Vandalismus. Jetzt übernimmt die Stadtentwicklungsgesellschaft SEG das Areal – und macht sich daran, einen Ort sozialer und städtebaulicher Sprengkraft in ein Zukunftsprojekt zu verwandeln.
Müll, Schrott und verwaiste Ladenpassage
Wiesbadens Baudezernent Andreas Kowol sprach zum Auftakt des Pressetermins offen von „unsäglichen Zuständen“: Schrottautos, vermüllte Grünflächen, ein überwiegend leergezogenes Einkaufszentrum in marodem Zustand. Der bauliche Verfall habe sich „über Jahre beschleunigt“. Inmitten des Quartiers steht das markante Wohnhochhaus mit 73 Einheiten, dessen Substanz zwar erhalten werden kann, – doch der Leerstand von rund 25 Prozent drücke.
Die SEG übernimmt das Steuer
„Es ist ein Glückstag für Wiesbaden“, so Kowol weiter. Denn nun hat die Stadt über ihre Tochtergesellschaft SEG das Eigentum am Roten Hochhaus und den angrenzenden Flächen übernommen – insgesamt 17.000 Quadratmeter Grundstück, davon rund 11.000 für neue städtebauliche Nutzungen. SEG-Geschäftsführer Roland Stöcklin betont, man wolle das Areal „wachküssen“ – mit einem neuen Nahversorger, Nachverdichtung von Wohnraum und an den Bedarf angepasste barrierearme Angebote.
Mehrwert für ein ganzes Quartier
Die SEG will nicht nur sanieren, sondern gezielt den Charakter des Quartiers aufwerten. Vorgesehen ist ein moderner Vollversorger mit bis zu 2.000 Quadratmetern Verkaufsfläche, ergänzt durch preiswerten Wohnraum und quartiersverträgliche Angebote. Auch der schlechte Ruf des Schelmengrabens soll so durch real erlebbare Verbesserungen ins Positive gewendet werden.
Soziale Mischung und bezahlbarer Wohnraum
Das Rote Hochhaus soll nicht luxussaniert, sondern nutzerorientiert entwickelt werden. „Wir streben eine Mischkalkulation an, damit die Sanierung nicht zulasten der Bestandsmieter geht“, sagt Stöcklin. Aktuell liege die Vermietungsquote im Hochhaus bei 75 Prozent , – das bedeutet nicht nur entgangene Mieteinnahmen, sondern spiegelt auch das schwindende Vertrauen früherer Investoren in das Objekt. Der SEG-Geschäftsführer gewinnt der Situation durchaus Positives ab: „Wer heute bewusst Leerstand verwaltet, kann ihn morgen aktiv nutzen“ – etwa für temporäre Ausweichwohnungen während der Sanierung, für soziale Wohnprojekte oder für gezielte Rückzugsangebote für bestehende Mieter. Fakt ist, die Mietpreise sollen bezahlbar bleiben – auch durch die wirtschaftliche Nutzung der Neubauflächen.
Herausforderungen: Brandschutz, Fassade, Barrierefreiheit
Zu bewältigen sind technische Altlasten wie eine asbesthaltige Fassade, veraltete Brandschutztechnik und gestalterische Defizite. Dennoch sehe die SEG keine „Gefahr-im-Verzug“. Fest steht, die Sanierung des „Roten Hochhauses“ wird kein kosmetischer Eingriff, sondern eine grundlegende technische, wirtschaftliche und soziale Herausforderung. Und bei der Gebäudehülle wartet auf alle ein Kraftakt: Die Fassade besteht aus asbesthaltigen Faserzementplatten. Deren Rückbau ist kostenintensiv – nicht zuletzt wegen der Sicherheits- und Entsorgungsmaßnahmen. Sie müsse vollständig ausgetauscht werden, inklusive energetischer Ertüchtigung. Ziel ist ein Gebäude, das nicht nur besser aussieht, sondern künftig auch deutlich weniger Energie verbraucht. Das heißt aber auch: Spatenstiche oder Abrissfeste werde es 2026 nicht geben – aber sichtbare Veränderungen ab 2027.
Die 15-Minuten-Stadt als Vision
Mit Klinik, Wald, Schulen und potenzieller Nahversorgung erfülle der Schelmengraben viele Kriterien der viel beschworenen „15-Minuten-Stadt“, ergänzt Stöcklin und erinnert an den Frankfurter Architekten Ernst May, der ohne es zu wissen, bereits in den 60er Jahren im Schelmengraben das erreicht hat, wovon heute viele sprechen: die 15-Minuten-Stadt, in der ich lebe und arbeite und alles zu Fuß innerhalb von 15 Minuten erreiche.
Erstveröffentlichung: 25.07.2025